Erinnern | Betrauern | Wachrütteln. Gedenkveranstaltung für die Opfer der „Euthanasie“ und Zwangssterilisierungen in Mecklenburg-Vorpommern in der NS-Zeit

Format: Gedenkveranstaltung
| Kirche, Hotel Ostseeländer | Züssow
Veranstalter: Landeszentrale für politische Bildung

Seit 1996 erinnern wir an den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz und es wurde in der Bundesrepublik Deutschland der offizielle „Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus“ proklamiert, vor allem in dem Willen „die Erinnerung wach zu halten für die lebendige Wirklichkeit in Gegenwart und Zukunft“, wie der damalige Bundespräsident Roman Herzog im Bundestag begründete. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen erklärte den 27. Januar im Jahre 2005 zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts.

Seit 2008 steht dieser Tag in Mecklenburg-Vorpommern auch im Zeichen einer lange Zeit tabuisierten und verschwiegenen Opfergruppe: den Menschen mit psychischen oder anderen Erkrankungen, geistigen und körperlichen Behinderungen, die im Rahmen der Erbgesundheitsgesetze und der sog. T4-Aktionen in der Zeit des Nationalsozialismus umgebracht oder dauerhaft geschädigt wurden. Wir beklagen damit an diesem Tage die Opfer der perfiden rassebiologischen Vorstellungen der Nationalsozialisten, die im „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ ab 1934 zur staatlichen Politik erklärt wurden. Der Gedanke wurde aber bereits zuvor durch die wissenschaftlichen Irrwege der Mediziner gelegt, mit dieser „schiefen Ebene“ befasst sich unsere Gedenkveranstaltung am 27. Januar 2018.

Heutigen Forschungen zufolge wurden mehr als 300.000 kranke und behinderte Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus bis 1945 ermordet: durch gezielte „Ausmerze“, durch Hungerkost, in den sog. „Kinderfachabteilungen“ u.a. Die Dunkelziffer ist weit höher. Letztendlich waren die Vergasungsanlagen in den Tötungsanstalten die „Erprobungsfelder“ für die dann einsetzende Massenvernichtung der jüdischen Bevölkerung, anderer Bevölkerungsgruppen und ethnischer Minderheiten. Doch die Radikalisierung im Umgang mit Minderheiten in NS-Deutschland schritt weiter voran: Per 1.9.1939 ermächtigte Adolf Hitler ausgewählte Ärzte, Pflegerinnen, Pfleger und Hebammen zur „Vernichtung lebensunwerten Lebens“. 1940-41 wurden reichsweit über 70.000 Patienten aus Nervenheilanstalten, auch aus dem heutigen Mecklenburg-Vorpommern, in sechs Tötungsanstalten ermordet.

Zwar wurde diese geheime „Aktion T4“ im August 1941 eingestellt, doch das Töten ging dezentral in den Anstalten weiter. Die Zahl der Opfer konnte nie abschließend geklärt werden. Aus den Kückenmühler Anstalten der Inneren Mission in Stettin erfolgte im April/Juni 1940 die Deportation der ca. 1.500 Bewohnerinnen und Bewohnern, offiziell wurden sie „verlegt“. 1945 wurden die Züssower Diakonie-Anstalten gegründet, die die in Stettin begonnen Tradition der diakonischen Arbeit der Kückenmühler Anstalten, der Züllchower Anstalten und der Krüppelanstalt Bethesda fortsetzten. Ein Mahnmal soll nun an die Opfer der „Euthanasie“ erinnern.

ERINNERN, BETRAUERN, WACHRÜTTELN – diese Veranstaltungsreihe steht seit 2008 für eine ständige Auseinandersetzung und trialogische Erinnerungskultur, welche die vergessenen Opfer wieder sichtbar werden lässt, aufklären, mahnen und Impulse für wichtige sozialpolitische und psychiatrische bzw. medizinische ethische Fragestellungen der heutigen Zeit geben möchte.

Wir verneigen uns vor den Opfern und deren Angehörigen. „Nur wenn uns die „Euthanasie“-Toten ohne Unterlass an die stets offenen Wunden der Psychiatrie erinnern, sind sie vielleicht nicht umsonst gestorben“ (Prof. Dr. Klaus Dörner am 27. Januar 2009, Rostock)

Programm
10.00 Uhr: Andacht in der Kirche Züssow
Pastor Dr. Harder; Musikalische Begleitung durch den Posaunenchor

11.30 Uhr: Grußworte
• Patrick Dahlemann, Staatssekretär 
• Dr. Barbara Syrbe, Landrätin des Landkreises Vorpommern-Greifswald
• Hanna Nowak-Radziejowska, Direktorin des Polnischen Instituts Berlin
• Undine Gutschow, Psychiatrieerfahrene
• Sandra Rieck, Vorsitzende Landesverband Sozialpsychatrie Mecklenburg-Vorpommern

12.15 Uhr: „Heute verlegt in eine andere Einrichtung.“ Das Ende der Kückenmühler Anstalten (bei Stettin) im Jahr 1940
Dr. Michael Bartels, Pommerscher Diakonieverein e.V., Vorsteher

13.00 Uhr: Gemeinsamer Mittagsimbiss Zeit für Begegnung und Gespräche, Büchertisch der Landeszentrale für Politische Bildung

14.00 Uhr: Aus der Perspektive von Menschen mit Psychiatrieerfahrungen heute: Tabubrüche und „schiefe Ebene“ und der Umgang mit „Anders sein“ heute
Gabriela Pertus – Genesungsbegleiterin

14.20 Uhr: Forschung am Menschen / Forschung mit Menschen – Medizinische Forschungsethik im 20. und 21. Jahrhundert
Dr. med. Dr. phil. Sabine Salloch, Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Universitätsmedizin Greifswald

Ca. 15.00 Uhr: Mahnmaleinweihung und Kranzniederlegung Auf dem Gelände des Vorpommerschern Diakonievereins

Eine gemeinsame Veranstaltung von Landesverband Sozialpsychatrie Mecklenburg-Vorpommern, Pommerscher Diakonierverein e.V., Erinnerungs-, Bildungs- und Begegnungsstätte Alt Rehse e.V., Landesverband Mecklenburg-Vorpommern der Angehörigen und Freunde psychisch Kranker e.V., Landkreis Vorpommern-Greifswald, Das Boot Wismar e.V. und Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern


Anmeldung und Kontakt


Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern
Dokumentationszentrum des Landes für die Opfer der Diktaturen in Deutschland
Heike Müller
Obotritenring 106
19053 Schwerin
Tel. +49 385 74 52 99 12
www.lpb-mv.de www.dokumentationszentrum-schwerin.de
Email: h.mueller(at)lpb.mv-regierung.de